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Wiederverwendung von Stahlträgern

Während das Recycling von Stahlbauteilen gut funktioniert, steht das Wiederverwenden noch am Anfang. Das ist aus Sicht des Klimaschutzes eine verpasste Chance.

Fast alles, was in der Schweiz an Stahlbauteilen rückgebaut wird, fliesst ins Recycling. Das schont zwar die Ressourcen, ist aber aus Sicht des Klimaschutzes nur die zweitbeste Variante. Sinnvoller wäre es, ganze Tragstrukturen oder zumindest Bauteile wie Träger wiederzuverwenden (Re-use). Dadurch fällt der Energiebedarf für das Einschmelzen des Schrotts und die Produktion neuer Bauteile weg und damit auch die Treibhausgasemissionen, die daraus entstehen. 

Vorreiterprojekt

Dass das funktioniert, zeigt beispielsweise die Sanierung und Aufstockung der Halle 118 auf dem Lagerplatzareal in Winterthur. Dort hat das Baubüro in situ Bauteile im grossen Stil wiederverwendet, darunter auch Stahlträger. Aus einer Studie der Stadt Zürich im Auftrag der ZHAW geht hervor, dass die Treibhausgasemissionen aus der Bauteilherstellung durch die Wiederverwendung um insgesamt rund 60 % reduziert werden konnten. Das entspricht in diesem Fall 500 Tonnen CO₂-Äquivalenten. 41,5 Tonnen oder 8,4 % davon wurden durch die wiederverwendeten Stahlträger gespart. 

Auf das Bauteil heruntergebrochen heisst das: Durch Wiederverwenden lassen sich 91 % der Treibhausgase vermeiden, die beim Herstellen von neuen Trägern aus Recyclingstahl entstehen. Letzteres bedeutet auch, dass sich Re-use vom Klimaschutz her auch dann lohnt, wenn die Träger über grössere Distanzen transportiert werden müssen. Gemäss einer vom Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegebenen Studie ist die Treibhausgasbilanz von wiederverwendeten Trägern bei bis zu 590 km Transportdistanz noch besser als die von neuen aus Recyclingstahl.

Eine Frage der Qualität

Grundsätzlich bietet der Stahlbau gute Voraussetzungen für die zirkuläre Bewirtschaftung von Bauteilen. Weil die Tragstrukturen modular aufgebaut sind, lassen sich die einzelnen Bauteile relativ einfach zurückgewinnen, ohne dass dabei die Materialeigenschaften beeinträchtigt werden. Sind die Verbindungen lösbar ausgestaltet, bleiben die einzelnen Elemente auch in ihren Dimensionen und Ausformungen integral erhalten. Gemäss Marc Angst, Bauteilspezialist bei in situ, ist nicht das Finden von gebrauchten Stahlträgern das grösste Problem. Schwieriger gestaltet sich der Qualitätsnachweis. Bevor ein Stahlträger wiederverwendet werden kann, muss ja nachgewiesen werden, dass er die Anforderungen des Zielgebäudes auch erfüllt. Dazu gilt es unter anderem abzuklären:

  • aus welcher Stahlsorte er besteht (Festigkeit, Zähigkeit etc.)
  • ob der Träger visuell intakt erscheint, also beispielsweise nicht verbogen ist
  • welcher Art und in welchem Zustand die Oberflächen sind (Korrosionsschutz)
  • ob er dynamischen Belastungen ausgesetzt war – wie etwa bei einer Brücke (Ermüdung)
  • wie sich der Träger nötigenfalls bearbeiten lässt (Schweissbarkeit etc.)

Stahlsorte bestimmen

Weil es für Stahlbauteile keine standardisierte Kennzeichnung gibt, müssen ihre materialtechnischen Eigenschaften aus der Bauteilgeschichte recherchiert werden. Gute Informationsquellen sind etwa alte Ausführungspläne oder statische Berichte. Fehlen solche Unterlagen, kann beispielsweise das Alter des Trägers oder sein Profilquerschnitt Anhaltspunkte auf die verwendete Stahlsorte liefern. 

Führt die Recherche zu keinen verlässlichen Resultaten, kann die Qualität im Prinzip durch Laboruntersuchungen abgeklärt werden. Die sind aber teuer und können die Bauteilkosten derart in die Höhe treiben, dass sich die Wiederverwendung wirtschaftlich nicht mehr vertreten lässt. Auch deshalb wird allgemein davon ausgegangen, dass sich Stahlbauteile, die älter als 20 bis 30 Jahre sind, nur bedingt wiederverwenden lassen.

Auswirkungen auf den Planungsprozess

Eine weitere Eigenheit des Wiederverwendens ist, dass es nicht in den etablierten Planungsprozess passt. Sollen Stahlträger wiederverwendet werden, kann das Planungsteam beispielsweise nicht wie üblich zuerst das Tragwerkkonzept entwickeln und dann das Material beschaffen. Vielmehr muss es entscheiden, ob und unter welchen Rahmenbedingungen ein verfügbares Quell-Tragwerk als Gesamtes übernommen werden kann oder nur einzelne Elemente davon. 

Diese Umkehrung des Entwurfsprozesses verlangt von den Beteiligten viel Flexibilität und Kreativität sowie eine engere Zusammenarbeit als üblich. Hinzu kommt, dass die Beschaffung der Bauteile besonders wegen der Qualitätssicherung deutlich mehr Vorlaufzeit braucht. Marc Angst schätzt, sie auf vier bis fünf Monate. 
Um Planerinnen und Planer beim Wiederverwenden von Stahlbauteilen zu unterstützen, hat das Stahlbauzentrum Schweiz den Leitfaden «Re-Use: Wiederverwendung von Stahlbauteilen» herausgegeben. Er kann kostenlos heruntergeladen werden. 

Wie weiter?

Inklusive Rückbau, Transport und Lagerung kostet ein wiederverwendetes Stahlbauteil bis zu 20 % weniger als ein neues. Dieser Preisvorteil wird aber oft durch den Mehraufwand bei der Beschaffung und der Planung wieder „aufgefressen“. Rein wirtschaftlich gesehen ist die Wiederverwendung von Stahlträgern also für Bauherrschaften nicht besonders attraktiv. Wo sie trotzdem in Auftrag gegeben wird, steht in der Regel eine Bauherrschaft dahinter, die bewusst einen Beitrag zum Klimaschutz leisten will.
Zwar gibt es verschiedene Ansätze, mit denen der planerische Aufwand verringert werden soll. Dazu gehören unter anderem Bauteilbörsen oder Internetplattformen, auf denen BIM- respektive Materialdaten von Bauteilen hochgeladen werden können. 

Anreize und Rahmenbedingungen

Doch damit die Wiederverwendung von Stahlträgern aus der Nische findet, ist eine industrielle Lieferkette nötig. An deren Aufbau arbeitet der schweizerische Verband für nachhaltiges Wirtschafen (Öbu) mit dem Projekt «Re-Use of Steel Sections (RUSS)». Das langfristige Ziel ist, Stahlprofile im Kreislauf zu halten und «Re-Use»-Stahlträger als kommerzielle Produkte in der Schweizer Baubranche zu etablieren.

Letztlich braucht es aber auch passende Anreize und Rahmenbedingungen rechtlicher Art. Hierfür könnten bereits bewährte Ansätze adaptiert werden, beispielsweise aus dem Vollzug des Energie- oder des Abfallrechts. Denkbar wäre, bei Baugesuchen Lebenszyklusbetrachtungen und/oder Berichte über die bei einem Rückbau anfallenden wiederverwendbaren Materialien zu verlangen. Um die Nachfrage anzukurbeln, könnte ein Mindestanteil an wiederverwendeten Stahlteilen gefordert werden. 

Helfen würden sicher auch steuerliche Anreize. Genauso wichtig ist, dass das Wiederverwenden von Bauteilen in Lehrplänen und Weiterbildungsangeboten für Planende ankommt.


Quellen:

Steeldoc 02+03/21, Dokumentation zum Prix Acier 2021
Steeldoc 02/19, Wiederverwendung von Stahl

Bildnachweis: © baubüro in situ ag, Foto: Martin Zeller