Swissbau Content Hub

Mein Account

Sprache

Standpunkt Swissbau 2024

Ein 30 Meter-Betonturm aus dem Drucker

Führende Bauinnovations-Institute der ETH setzen mit einem 3D-Print-Turm in Mulegns ein Denkmal für die Zukunft des Bauens. Beton spielt eine Schlüsselrolle dabei: Flüssig genug für Präzision beim Druck, schnell aushärtend für Formstabilität und klebend genug für die Schichtbildung.

Der Weisse Turm von Mulegns                                                                                                        29 Meter Höhe ist weltrekordverdächtig. Und es ist die logische Konsequenz der langjährigen Vorreiterolle in digitaler Bautechnologie. Die ETH Zürich hat mit der Gruppe DBT in den Bündner Bergen nun ein ganz besonderes Projekt vor Ausführung: Der Weisse Turm von Mulegns. Das klingt märchenhaft. Und wenn man sich mit dem Projekt näher befasst, ist es das auch. Das Betonextrusionsverfahren ermöglicht eine neuartige Formensprache. Die Möglichkeiten von sehr filigranen Gestaltungsmöglichkeiten sind im Turm meisterhaft umgesetzt und zeigen eindrücklich auf, wie neue visionäre Bautechnologien bereits heute schon realisiert werden können.

Ein Bau mit Ausstrahlung                                                                                                              Mulegns ist ein stilles, aber charakterstarkes Dorf an der Julierstrecke zwischen Savognin und St. Moritz. Von den meisten Graubündenbesuchern wird Mulegns auf dem Weg ins Engadin links liegen gelassen. Mit dem Weissen Turm wird sich das ändern. Nicht nur per Form und architektonischer Ausstrahlung, sondern auch durch das kulturelle Angebot. Hier soll es Raum für Kunstausstellungen und -installation geben. Im obersten Stockwerk befindet sich sogar ein Konzertsaal mit 45 Sitzplätzen für ein Kulturelebnis der ganz besonderen Art. Der Bau besteht aus fast 100 Säulen, die gleichzeitig die Geschossebenen stützen und durch ihre filigrane Ornamentierung als Fassade funktionieren. Speziell ist auch, dass sich der Turm nach oben verbreitert statt verjüngt. Zusammen mit den Fensteröffnungen entsteht damit eine Art Leuchtturm oder Fackel für das Dorf Mulegns und für die Verbindung von alter Dorfsubstanz mit modernsten Bautechnologie.

Drucken will gelernt sein                                                                                                   
Der Druck eines ganzen Baus ist nicht mit dem Printen eines Kinderspielzeugs vergleichbar. Material und Architektur müssen neu gelernt, ausgelotet, erfahren werden. Dazu gehört auch die Entwicklung der Bausoftware, die komplexe Pläne und Berechnung in das neue Bauverfahren umsetzen kann. Die Software wie auch das ganze Extrusionsverfahren für den Bauroboter wurde eigens an der DBT-Gruppe der ETH in Kollaboration mit PCBM Physical Chemistry of Building Materialism Rahmen des nationalen Forschungsinstituts-Schwerpunkts Digitale Fabrikation entwickelt. Ganz grob funktioniert das so: Der Roboter trägt Schicht um Schicht 5mm dünne Lagen aus Weichbeton auf. Der 3D-Beton muss genug flüssig gemischt sein, damit er durch die Extrusionsdüse fliessen kann, ohne diese zu verstopfen. Danach muss er relativ schnell Festigkeit erlangen, damit die Schicht beim Auftragen in ihrer Form stabil bleibt. Die Schicht muss zudem bereit sein, die nächste Lage tragen zu können. Dabei darf sie nicht zu trocken werden, sonst kann sich die nachfolgende Schicht nicht mit ihr verbinden und würde lose darüber liegen. Die Spezifikationen für 3D-Beton sind also anspruchsvoll. Verschiedene Zusatzstoffe wie Fliessmittel, Stabilisierer oder Schwindreduzierer sorgen für die gewünschten Eigenschaften. Die genaue Rezeptur zu finden, war und ist Teil der Forschung. Die ETH Zürich gehört auch in diesem Bereich zu den führenden Instituten weltweit. Ein grosser Vorteil für die hiesige Bauindustrie.

       

Nachhaltig Printen bzw. Bauen ohne Schalung                                                                 

Für einen Betonbau werden Schalungen, meist aus Holz, verwendet, in die der Baustoff gegossen werden. Im 3D-Print-Bau fallen die Schalungen von Anfang an weg, denn die Betonschichten sind schalungsfrei aufeinandergelegt. Zudem können die einzelnen Elemente so berechnet werden, dass sie ein Maximum an Leistung bei einem Minimum an Material aufweisen. Kritiker monieren, das Beton für 3D-Print-Einsätze mehr Zuschlagsstoffe als herkömmlicher Beton aufweist. Die Einsparungen an Schalungsmaterial und Beton sind aber derart vorteilhaft, dass diese Kritik ziemlich schnell verstummen wird.

Baubeginn 2023                                                                                                                 
Die Bewilligung ist erteilt, so dass der Bau 2023 in Angriff genommen wird. 2024 feiert der Turm dann offiziell seine Eröffnung. Derzeit steht ein 1:1 Demonstrator in Mulegns. Er ist 4.5 Meter hoch, besteht aus 10 Stützen und vermittelt einen ersten Eindruck zu Dimension, Materialität und Formen.

2028 wird der Turm zurückgebaut                                                                                   
Was sich mit etwas Erstaunen liest, gehört zum Projekt. 2028 werden die über 100 Elemente wieder vollständig demontiert, abtransportiert und einem anderen Ort aufgestellt. Das zeigt, wie sehr die Bautechnologie auch auf Kreislaufwirtschaft und Wiederverwendbarkeit setzt. Wo der Bau dann seine Leuchtturmqualiäten ausstrahlen wird, ist noch nicht bekannt. Sicher ist, dass das Projekt weiter Schule machen wird.

Alles nur Show?                                                                                                                                3D-Printing ist kein reiner Showcase für die Innovationsabteilung von Hochschulen oder Bauunternehmen. Die digitale Art zu bauen hat Zukunft. Dabei nimmt die Schweiz eine Pionierrolle ein. Es werden auch in Deutschland bereits erste Bauten in 3D-Beton hochgezogen. Der Ort Beckum unweit von Münster ist ein gutes Beispiel dafür.

3D-Print-Beton-Wohnhaus: Kaum gedruckt, schon gewohnt                                                   
In Beckum wurde dieses Jahr ein «gedrucktes» Einfamilienhaus eingeweiht. Dabei handelt es sich um ein 2-geschossiges Gebäude mit einer Wohnfläche von rund 160m2. Es hat vier Schlafzimmer, zwei Bäder, einen offenen Wohn- und Essbereich und ein Gästebad. Die Ecken des Hauses sind bewusst rund geformt, um das Potential von gedruckter Architektur zu demonstrieren. Im Innenbereich wurde viel Wert daraufgelegt, die Zwischenwände orthogonal zueinander anzuordnen, um die Möblierung des Gebäudes mit Standardmöbeln zu ermöglichen. Die reduzierte Fassadengestaltung spiegelt eine zeitlose, klassisch moderne Architektursprache wieder.

Horizontal klassisch, vertikal progressiv                                                                                   
Das statische Konzept des Gebäudes bedient sich klassischer Massivbauweisen. Das heisst, dass die horizontalen Bauteile aus Stahlbetonelementen bestehen. Alle vertikalen Bauteile wurden jedoch im Druckverfahren erstellt. Die gedruckten Wandbauteile dienen der Auflagerung der Betondecken. Die Aussteifung des Gebäudes erfolgt ebenfalls über die gedruckten Innenwände. Diese wurden teilweise als Hohlwände gedruckt und örtlich mit unbewehrtem Beton verfüllt.

Nachhaltigkeit ist Standard                                                                                                          Gedruckt wurde im Energiestandard gemäss KFW 55. Es wurde streng darauf geachtet, an diesem Gebäude nur ökologische Dämmstoffe bzw. Recyclingdämmstoffe zu verwenden. So wurden die Aussenwände mit Perlit verfüllt, unter der Betonsohle kam Schaumglasschotter zum Einsatz und auf der Dachfläche Schaumglasplatten als Dämmstoff. So lässt sich das Gebäude gut zurückbauen. Perlit kann abgesaugt und wiederverwendet werden. Der Druckmörtel kann gebrochen und ebenfalls als Recyclingmaterial neues entstehen lassen. Die Beheizung des Gebäudes erfolgt über eine Luft-Wasser-Wärmepumpe. Als Heizflächen dienen die Ortbetondecken, die über wasserführende Leitungen aktiviert werden. Und zur elektrischen Versorgung des Gebäudes wird eine PV-Anlage auf dem Dach herangezogen. Insgesamt ist die 3D-Drucktechnik dank ressourcensparendem Materialeinsatz und dem Weglassen von Holzverschalungen schon als Bauform äusserst nachhaltig.


Prof. Dr. Benjamin Dillenburger leitet die Forschungsgruppe Digital Building Technologies der ETH Zürich. Hier folgen noch ein paar nähere Einblicke ins Projekt Weisser Turm Mulegns.

MulegnsSB.jpg (0.2 MB)


Auf Bildern wirkt 3D-Druck-Bauen ziemlich schnell. Wie lange dauert es, bis eine Schicht trocken ist?

Trocken wird Beton im Prinzip nie. Wir sprechen da von Aushärtung bzw. Festigkeit. Wir erreichen eine Pfadlänge von ca. 20 cm pro Sekunde auf eine gerade Strecke. Das ist ziemlich schnell. Nach 2 Stunden ist eine Grundfestigkeit für eine 3 Meter hohe Struktur erreicht.

Wie sind sie auf Mulegns gekommen?
Das liegt in der Zusammenarbeit mit der Stiftung Origen begründet. Die Stiftung hat bereits andere für uns spannende Projekte in Mulegns realisiert. Zum Beispiel die weisse Villa oder das Post Hotel Löwe. Oder den roten Turm auf dem Julierpass. Dann ist Mulegns ein typisches Beispiel für einen Bergregionenort, der sich in starken Wandel befindet. Mulegns ist geprägt von regionaler Kultur und hatte schon immer mit Abwanderung zu kämpfen. Hier wurden einst Pferde für Reisen und Transport gewechselt, die Eröffnung der Albula-Eisenbahnstrecke hat die Julier-Route, und damit die wichtige Relais-Station Mulegns, aber ins Abseits gedrängt. Dennoch sind viele wieder in das Dorf am Julier zurückgekehrt. Mit neuen Eindrücken, Erfahrungen und Ideen. Und: die Landschaft ist hier einfach wunderbar.

Warum ein Turm und kein traditionelles Bündner Wohnhaus mit digitaler Bautechnologie bauen?
Das wäre durchaus interessant gewesen. Mit dem Turm können wir aber Neuland betreten. Es entsteht eine weltweit einzigartige, mehrgeschossig 3D-gedruckte Struktur in Form und Höhe, die uns wichtige Erkenntnisse für den Einsatz von gedrucktem Beton liefern kann. Zudem wollen wir mit der Stiftung Origen zusammen einen beispiellosen Ort schaffen, der zum einen ein Bühnenbild für aussergewöhnliche Inszenierungen liefert, zum anderen aber auch als eigenständige Architektur zum Erkunden einlädt. Man wird den Turm vom Julier herkommend gut sehen. Und vom Turm selber kann man das ganze Dorf Mulegns einsehen und bekommt einen schönen Blick auf die reizvolle Natur des Juliertals.

Was sagt die Dorfbevölkerung zum Turmbau zu Mulegns?
Die Projekte werden natürlich mitunter emotional diskutiert. Aber Origen hat ja bereits andere Gebäude realisiert und weiss, wie wichtig der konstruktive Austausch mit allen Anrainern ist. Der Turm hat letztlich gute Zustimmung bekommen, vielleicht auch, weil er 2028 wieder rückgebaut wird. Zudem arbeiten wir vor allem mit lokalen und regionalen Betrieben zusammen. Auch die ersten Bewilligungen sind gesprochen. Es kann also hoffentlich bald losgehen!

Was sind die nächsten Projekte von DBT?
Generell forschen wir zum Thema Digitalisierung im Bau weiter. Zum Beispiel wie man die Prozessparameter im 3D-Print auf der Baustelle mit den CAD-Werkzeugen zu einem System entwickelt, der bessere bzw. intuitivere Handhabung und Gestaltung verspricht. Dann suchen wir nach Wegen, Beton möglichst effizient einzusetzen und die Betonbewehrung in den Druckprozess zu integrieren. Wir wollen dank digitalen Bauformen günstiger, kreativer und nachhaltiger werden.

Wie nachhaltig ist 3D-Printen mit Beton?
Ein wichtiger, im Endresultat nicht sichtbarer Aspekt ist der Schalungsaufwand. Der ist im Prinzip gleich Null. Dann können wir sehr dünnwandig konstruieren oder Hohlformen nutzen, was enorm viel Baustoff einspart. Zudem kann auch an Transportkilometern gespart werden, weil wir in diesem Projekt – im Sinne einer Feldfabrik – am Bauort selbst oder in unmittelbarerer Nähe produzieren können. Aber 3D-Print-Beton braucht oft mehr Zement als «klassischer» Beton. Stimmt. Im Idealfall braucht ein 3D-geprinteter Betonbau netto jedoch weniger Zement und hat weniger Masse. Zudem forschen unsere Kollegen an neuen, zementreduzierten Betonarten und an der Einbindung von mehr Recyclingbeton.

Warum kommt einem die zauberhafte Set-Architektur der Verfilmung von Herr der Ringe in den Sinn?
Das liegt wohl im Auge des Betrachters! Die Formensprache soll sicher zu einem gewissen Grad bezaubern. Denn der Turm ist ja auch eine Bühne bzw. Bühnenbild für kulturelle Veranstaltungen. Es geht auch um neue Architektur, die durch neue Baumaterialien erst möglich werden. So wie das beim Aufkommen von Gusseisen- oder den ersten Betonkonstruktionen der Fall war. Beim weissen Turm finden sich Anlehnungen von barocken bis zu gotischen Formen. Von den tragenden Säulen bis über den verspielten Mittelbau bis zur Kuppel mit den schlanken Säulen gehen eine Formensprache in eine andere über.

Gibt es eine Alternative zu Beton?
Ja und nein. Beton wird wichtig für das Bauen bleiben und ist für Bauen mit 3D-Print-Technologie gut geeignet. Aber generell geht es beim 3D-Druck darum, die jeweils besten Eigenschaften eines Baustoffes strategisch zu nutzen. Mit Beton und 3D-Print können wir massgeschneiderte Lösungen so günstig wie nie zuvor realisieren. Zudem lassen sich mit 3D-Print-Beton sogar funktionale Stay-in-place Schalungen für Deckenkonstruktionen drucken. Mit Smart Slab, also der digital produzierten intelligenten Decke, haben wir auf dem Dach der EMPA bewiesen, wie Beton auch in Verbindung mit 3D gedruckter Schalung aus anderem Material optimiert einsetzen kann.

Wie sieht die Zukunft von 3D-Beton aus?
Die digitale Bautechnologie hat Zukunft und Beton spielt darin natürlich eine tragende Rolle. Wir forschen hauptsächlich in der Vorfertigung. Innovative Baustoffe wie Faserbeton oder wie erwähnt materialoptimierte und performative Bauteilentwicklung gehören auch dazu. Wir stehen erst am Anfang einer sehr spannenden Zukunft.