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Wann werden Umweltproduktdeklarationen verbindlich?

Informationen, wie gering oder stark ein Bauprodukt die Umwelt belastet, werden immer mehr nachgefragt. Die EU strebt nun einen gemeinsamen Deklarationsstandard an. Wie die Schweizer Bauwirtschaft damit umgeht, ist in Diskussion.

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4058 Basel, Schweiz

Beton, Backstein und Armierungsstahl stellt die Schweizer Bauindustrie zu grossen Teilen selbst her. Ansonsten lebt der Bausektor vor allem vom Import. Viele Bauprodukte – von Glas über Keramikplättli bis zu Holzwerkstoffen oder Solarmodulen – können teilweise nur auf dem internationalen Baustoffmarkt beschafft werden. Gemäss dem Dachverband «Handel Schweiz» stammt weit mehr als die Hälfte der hierzulande verbauten Materialien aus dem Ausland. Von Vorteil ist, dass auch die Leistungsnachweise überstaatlich geregelt sind. Bislang gibt es europäische Produktenormen etwa für Druckfestigkeit oder die Brandsicherheit, die auch in der Schweiz anerkannt sind. Nun kommt eine weitere Prüfkategorie dazu: Die EU-Behörden hiessen Ende 2024 eine Revision der «Construction Products Regulation CPR» gut, wonach jedes Bauprodukt nachhaltig, langlebig, rezyklierbar – und dementsprechend überprüft – sein muss.

Umsetzungsfrist: fünf Jahre
Die künftigen Regeln schreiben eine Bewertung der Umweltbelastung von Bauprodukten vor und verpflichten die Hersteller ebenso zur transparenten Deklaration. Für die Umsetzung erhalten sie eine Frist von fünf Jahren. Ab dann darf jedes Bauprodukt in EU-Ländern nur noch mit einem digitalen Pass vertrieben werden. Darin sind neben den technischen Eigenschaften zusätzlich die Ergebnisse einer produktspezifischen Ökobilanz zu vermerken. Letztere muss ebenso wie Sicherheitsdaten oder Prüfzertifikate nach einheitlichen Kriterien berechnet werden.

Die EU-Rechenmethode ist allerdings bekannt: Die «Environmental Product Declaration EPD» gibt vor, wie Produkte ökologisch zu bilanzieren und welche Umweltdaten daraus zu deklarieren sind. Sie sollen Transparenz schaffen, wie stark Ökosysteme und das Klima durch die jeweiligen Herstellungs- und Lieferketten beeinträchtigt werden. Das unabhängige ISO-Normenwerk definiert die Grundlagen für Berechnungsverfahren und Systemgrenzen.

Gemäss den EU-Plänen gelten die neuen Deklarationsvorschriften nicht nur für Beton, Stahl oder Dämmstoffe. Neben den Hauptzutaten für das Bauen werden auch Fertighäuser und wiederverwendbare Bauteile ab 2030 ihre Klima- und Ökodaten auf einer digitalen Zusatzetikette registrieren müssen.

Steigende Nachfrage in der Schweiz
Das betrifft zuerst denjenigen Teil der inländischen Bauindustrie, der seine Produkte nach Europa exportiert. Tatsächlich sind einige Hersteller heute schon à jour und geben die Ökobilanzdaten ihrer Bau- und Dämmstoffe gemäss dem europäischen EPD-Standard offen preis. Und das Interesse weiterer Anbieter wächst. Zwar seien unabhängige Produktebilanzierungen am Schweizer Markt erst «beschränkt verbreitet», sagt Matthias Klingler, Mitinhaber der Beratungsfirma Pawis. Als akkreditierte Fachperson für die Erstellung von Umweltproduktedeklarationen habe er letztes Jahr aber mehr Anfragen erhalten: «Die Nachfrage wächst, wenn auch nicht enorm.»

Konkurrenz zu inländischer Methode?
Eine Umweltdeklaration ist vorteilhaft: Der EU-Standard ermöglicht neutrale Vergleiche zwischen Produkten gleicher Funktion. Zudem sind die Bewertungskriterien branchenübergreifend normiert, was ihn von einem Produktelabel unterscheidet. Gemäss Umweltberater Klingler eignen sich UPD-Daten auch dazu, dass Hersteller ihre internen Prozesse ökologisch optimieren können.

Dennoch droht bisweilen mehr Verwirrung als bessere Transparenz: Die Schweizer Immobilien- und Baubranche wendet eigene Vergleichsstandards an, die nicht kompatibel zur EU-Methode sind. Die Umweltdaten und CO2-Bilanzen, die zum Beispiel für ein Gebäude mit Minergie- oder SNBS-Zertifikat berechnet wurden, befolgen die Empfehlungen des SIA und der KBOB (Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren).

Matthias Klingler hebt einen weiteren Unterschied hervor: Die inländische KBOB-Methode eigne sich besser für Variantenstudien in einer frühen Projektphase, weil sie produkteunabhängige Ökobilanzdaten liefert. EPD-Daten sind dagegen oft erst verfügbar, wenn ein konkretes Bauprodukt im Vergabeprozess ausgewählt worden ist.

Harmonisierung in Vorbereitung
Die Branche und der Bund haben ihrerseits Handlungsbedarf auf übergeordneter Ebene erkannt. Eine Arbeitsgruppe des Bundes bereitet zusammen mit Industrieverbänden eine Agenda vor, wie unterschiedliche Handelsregeln für Bauprodukte zu vermeiden sind. Derweil präsentieren die Baustoffverbände Cemsuisse, Lignum und Stahlbauzentrum ein gemeinsames Gutachten, um auf die unklare Situation bei der Nachhaltigkeitsbewertung zwischen der EU und der Schweiz aufmerksam zu machen: Zum PDF

Sie möchten verhindern, dass der Handel mit Bauprodukten komplizierter wird. Zwar werden weder die inländischen noch die europäischen Nachhaltigkeitsregeln hinterfragt. Dennoch rechnet der Dachverband «Handel Schweiz» in einem internen Gutachten mit Anpassungsbedarf für den inländischen Baustoffmarkt. Die Einführung der europäischen Umweltproduktedeklarationspflicht sei dabei nur noch eine Frage der Zeit.

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(Ansicht: Bau eines Wohnhauses aus Holz) Was auf einer Baustelle verbaut wird, soll dereinst zwingend ökologisch bilanziert und deklariert werden. © henzi & micciché / photography

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Deckblatt eines EPD-Dokuments, in dem produktespezifische Umweltdaten deklariert sind. © Screenshot/Swisspearl

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Paul Knüsel

Paul Knüsel

Faktor Journalisten
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