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«Hohe Baukultur schafft Orte, wo sich die Leute wohl fühlen.»

Als erste Frau hat Susanne Zenker Mitte 2024 das Präsidium des SIA übernommen. Im Interview spricht sie über ihre Eindrücke im neuen Amt, über die Herausforderungen der Baubranche und weshalb qualitätsvolles Bauen eine zentrale Aufgabe ist.

Swissbau
4058 Basel, Schweiz

Frau Zenker, Sie sind seit Juli 2024 als SIA-Präsidentin im Amt. Was nehmen Sie aus den ersten Monaten mit?
Die meisten meiner Eindrücke sind sehr positiv. Der SIA ist ein faszinierender Verein mit viel Wissen und Engagement aller Beteiligten. Das bedeutet mir sehr viel.

Gab es Dinge, die Sie überrascht haben?
Besonders gefreut haben mich die zahlreichen neuen Bekanntschaften, die ich machen durfte, und damit einhergehend die Motivation und Energie der Mitarbeitenden und der in den Gremien arbeitenden Menschen. Es ist ein starker Wille zum Gestalten spürbar, auf dem man weiterbauen kann.

Nach fast 190 Jahren steht erstmals eine Frau an der Spitze des SIA. Wird das den Verein verändern?
Die Geschlechterverteilung im SIA-Vorstand ist schon seit vielen Jahren ausgeglichen. Dass nun erstmals eine Frau dem Verein vorsteht, ist wohl eher dem Zufall zu verdanken. Ich denke daher nicht, dass meine Wahl einen grossen Unterschied macht, sie ist vielmehr ein weiterer Schritt in einer logischen Entwicklung. In vielen Ingenieurdisziplinen sind Frauen aber heute noch selten anzutreffen. Wir müssen weiter daran arbeiten, Frauen für diese Berufe zu motivieren.

Durch Ihre Tätigkeit als Architektin und bei SBB Immobilien kennen Sie die Branche aus unterschiedlichen Perspektiven. Inwiefern ist das ein Vorteil für Ihre Arbeit beim SIA?
Ich kenne die Situation und Bedürfnisse der Anleger, Bauherrschaften und weiterer Projektbeteiligter sehr gut, also des Gegenübers unserer Vereinsmitglieder. Es ist mir ein grosses Anliegen, das gegenseitige Verständnis und die Kommunikation aller Beteiligten zu verbessern.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren auf die Baubranche zukommen?
Ein sehr wichtiges Thema ist die Art und Weise, wie wir künftig zusammenarbeiten werden. Dabei denke ich, dass eine verbesserte interdisziplinäre und integrative Arbeitsweise, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch, in den meisten Situationen unausweichlich ist. Ein vielversprechendes Arbeitsmodell stellt beispielsweise das neue Merkblatt SIA 2065 «Planen und Bauen in Projektallianzen» vor. Die Projektbeteiligten tragen dabei das Risiko gemeinsam, womit der Erfolg des gesamten Projektes stärker in den Fokus rückt. Auch durch die fortschreitende Digitalisierung erhalten wir neue Möglichkeiten. Wir müssen lernen, wie wir diese beim Planen, Bauen und Betreiben am besten einsetzen, um den grösstmöglichen Nutzen zu erhalten.

Baukultur ist ein zentrales Thema beim SIA. Was bedeutet gute Baukultur für Sie?
Meine Definition von hoher Baukultur ist, Orte zu schaffen, wo sich die Leute wohl fühlen. Baukultur geht uns deshalb alle an. Ich sehe es als unsere Aufgabe, ihr grösste Beachtung zu schenken und sicherzustellen, dass sämtliche Akteure der Planungs- und Baubranche anhand von klaren Prozessen und durch einen stufengerechten Diskurs unseren Lebensraum qualitätsvoll gestalten.

Und wie steht es um die Baukultur in unserem Land?
Ich will es mal so sagen: In Zeiten der Hochkonjunktur wurde vieles schnell, unüberlegt und in vieler Weise mangelhaft gebaut, was nicht zu vorbildlichen Resultaten führte. Heute müssen wir qualitativ besser planen und damit auch nachhaltiger bauen, um bei der Bevölkerung die Akzeptanz für die notwendige Entwicklung nach innen zu gewinnen.

Welchen Beitrag kann der SIA leisten, um gute Baukultur in der Schweiz zu fördern?
Planerinnen und Planer gestalten unseren Lebensraum. Der SIA kann seine Mitglieder sowie Dritte befähigen und unterstützen, qualitativ hochwertig zu planen und zu bauen. Eine allgemeine Sensibilisierung für hohe Baukultur wurde durch den SIA in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Dies führte unter anderem zur Erwähnung der Baukultur in der Kulturbotschaft des Bundes oder zu dem mit internationalen Partnern erarbeiteten «Davos Qualitätssystem für Baukultur», das hilft, Baukultur zu bewerten.

Die Baubranche kann auch wesentlich zum Erreichen des Netto-Null-Ziels beitragen. Wo müssen die verschiedenen Akteure ansetzen, damit wir bei der Dekarbonisierung vorankommen?
Da gibt es ganz unterschiedliche Ansätze. Wichtig scheint mir im einzelnen Fall überlegt und adäquat zu handeln. Besonders zu Beginn eines Projektes muss umsichtig und bewusst vorgegangen werden. Noch vor wenigen Jahren haben wir den Fokus zu stark auf die Emissionen während der Nutzungsdauer von Gebäuden gelegt und diese bei schlechten Werten schnell einmal ersetzt. Relevant ist aber der gesamte Lebenszyklus von der Erstellung bis zum Rückbau. Wir sollten Bauten so ausführen, dass sie sich möglichst lange an veränderte Bedürfnisse anpassen können.

Und welche Hürden gilt es auf diesem Weg Ihrer Meinung nach zu bewältigen?
Nachhaltigkeit beruht auf drei Säulen. Wichtig ist diese alle zu berücksichtigen, um dauerhafte – und damit nachhaltigere – Lösungen zu erarbeiten. Eine nachhaltige Entwicklung ist nur gegeben, wenn sowohl ökologische, wirtschaftliche wie auch gesellschaftliche Aspekte möglichst zu gleichen Massen berücksichtigt werden.

Mit der neuen Norm 390/1, dem Klimapfad, hat der SIA ein Instrument für die Erstellung von Treibhausgas- und Energiebilanzen für Gebäude geschaffen. Welchen Nutzen haben die unterschiedlichen Akteure der Branche davon?
Diese neue Norm ist ein weiterer Schritt auf einem langen Weg, den der SIA schon seit mehreren Jahrzehnten beschreitet. Die SIA 390/1 ist ein konkretes Hilfsmittel für unsere Mitglieder und die Baubranche, um zum Thema Treibhausgas- und Energiebilanzen bewusster planen und besser entscheiden zu können. Die SIA 390/1 ersetzt den seit vielen Jahren gebräuchlichen und mehrfach überarbeiteten «SIA Effizienzpfad Energie».

Die Schweiz steuert auf 10 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner zu. Wie lässt sich in einem so kleinen Land qualitätsvoller Lebensraum für alle schaffen?
Sie nehmen die Antwort in Ihrer Frage bereits vorweg: Die Qualität muss wieder ins Zentrum rücken. Hier spielen die Planenden eine zentrale Rolle, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Um unsere wunderschönen Landschaften zu bewahren, müssen wir weiterbauen, wo schon gebaut wurde. Diese innere Verdichtung wird aber nur dann Akzeptanz gewinnen, wenn sie qualitätvoll geplant und umgesetzt wird. In der Raumplanung sehe ich grosses Potenzial. Wir haben mit den revidierten Raumplanungsgesetzen eigentlich gute Instrumente, nur leider werden diese im Einzelfall zu oft umgangen. Es gilt, das Bedürfnis der Gesellschaft über Einzelinteressen zu stellen. Das ist unsere Verantwortung.

Sehen Sie im verdichteten Bauen auch Chancen?
Die Bevölkerung in der Schweiz wächst. Zudem hat der Bedarf benötigter Fläche eines jeden Menschen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts stark zugenommen. Die Planenden können aber beispielsweise einen Wohnungsgrundriss effizienter und flexibler gestalten, sodass sich die Bewohnerinnen und Bewohner trotz geringerem Flächenbedarf wohl fühlen. Auch beim Verdichten ist Qualität das wichtigste Kriterium. Ich kenne Städte im Ausland, die eine viel höhere Dichte haben als Schweizer Städte und die dennoch als Wohnort äusserst begehrt sind.

In welche Richtung werden Sie den SIA in den kommenden Jahren steuern?
Wir werden sicher effizienter und agiler, um wirkungsvoller zugunsten unserer Mitglieder, der Baubranche und der Gesellschaft zu arbeiten. Dieser Prozess ist keine Revolution, sondern ein langer Weg in kleinen Schritten. Ich bin überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind.

Der SIA hat mit der Swissbau den Focus entwickelt und prägt viele Veranstaltungen im Focus und im Lab mit seiner Expertise mit. Welche Erwartungen haben Sie an die Swissbau 2026?
Ich wünsche mir wieder angeregte Diskussionen und spannende Inputs zu den Themen, welche die Branche aktuell bewegen. Dieser alle zwei Jahre stattfindende Austausch aller Akteure im Bauwesen und darüber hinaus ist für den SIA sehr hilfreich, um den Puls und die Herausforderungen der Branche zu spüren.

Frau Zenker, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Präsidentin SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein) Susanne Zenker im SIA-Gebäude in Zürich, 20.11.2024.

Durch ihre Tätigkeit als Architektin und bei SBB Immobilien kennt die neue SIA-Präsidentin Susanne Zenker die Bedürfnisse von Anlegern, Bauherrschaften und weiteren Projektbeteiligten sehr gut. Fotos: Karin Hofer, NZZ

Ihre Kontaktperson

Sandra Aeberhard

Sandra Aeberhard

Faktor Journalisten AG, Zürich
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